Von Gott gerufen

 

Die Berufung zum Menschen

 

Jeder Mensch ist einmalig – ein einzigartiges Wesen – von der Geburt bis zum Tode. Eigentlich schon vor der Geburt, von dem Augenblick an, wenn sich Samenzelle und Eizelle vereinen und damit der Grund gelegt ist, dass aus dieser Vereinigung der eine Mensch entsteht, der bereits all die Eigenarten in sich trägt, die nur er verwirklichen wird.

 

Weil eine solche Entwicklung unbegreiflich ist und nicht in sich erklärt werden kann, sehen glaubende Menschen darin das Wirken Gottes. Man könnte auch sagen: Gott hat in diesem Augenblick ein neues Menschenkind ins Leben gerufen, dass es sich entwickle und entfalte, dass es wachse und größer werde, bis es schließlich bei der Geburt „das Licht der Welt erblicken kann“.

 

„Ins Leben gerufen“ hat Gott im Zusammenwirken mit den Eltern dieses neue Lebewesen, dass es Mensch sei, Frau oder Mann, groß oder klein, farbig oder weiß, mit besonderer Begabung ausgezeichnet oder eher einfach und schlicht in seiner Intelligenz. Mann und Frau sind sich in Liebe begegnet und Gott, der die Liebe, aber ebenso die Quelle jeglichen Lebens ist, hat sich diesem Lebensprozess zugesellt und ein neues menschliches Leben gebildet. Hier können wir doch sicher sagen, dass dieses lebendige Wesen eine Berufung erhielt, Mensch zu sein.

 

Die Berufung zum Christen

 

Über die Berufung zum Menschen hinaus bekommt der Mensch in der Begegnung mit Christus die Berufung zum Christen. Dies findet seinen Ausdruck in der Taufe, wenn der Mensch erfährt, dass er Gott zum Vater hat, dass er also von Gott als Kind angenommen ist, dass Christus, der Sohn Gottes, ihm als Bruder zur Seite steht, dass er offiziell in die Gemeinschaft der an Christus Glaubenden, in die Kirche, aufgenommen wird.

 

Die Berufung zum Christsein bringt eine ganz neue Dimension in das Leben des Menschen. Er trägt nun Mitverantwortung für sein Leben und für das Leben der Gemeinschaft der Kirche. Der Mensch muss sich vor Gott „verantworten“ und auch vor den Menschen, vor denen er Zeugnis ablegen soll für diese Berufung. Der als Christ berufene Mensch soll seinen Glauben bekennen – nicht nur im privaten Bereich seines Lebens, sondern auch in der Öffentlichkeit. Man soll ihn als Christ erkennen durch die Lebenshaltung, die dieser Berufung entspricht – durch seine Güte und Menschenfreundlichkeit, durch seine Liebe und Barmherzigkeit, durch seine Opferbereitschaft und karitative Einstellung, durch seine Frömmigkeit und seine treue Mitarbeit im kirchlichen und öffentlichen Leben.

 

Diese Berufung kann sich entfalten in der Teilnahme und im Engagement von christlichen Verbänden oder geistlichen Gemeinschaften. Gemeinsam kann man bestimmte Richtungen oder Ausformungen der Berufung zum Christsein besser verwirklichen. Das kann dann eine missionarische oder eine marianische oder eine eucharistische Betonung im eigenen Lebensstil sein – oder man kann durch die Teilnahme an Gebetsgruppen oder kirchlichen Basisgruppen, an ökumenischen oder apostolischen Kreisen christliches Profil zeigen. Auch in der Politik muss man spüren, ob ein Politiker sich als Christ bekennt und dafür Zeugnis gibt, auch wenn er dadurch nicht bei allen die entsprechende Anerkennung finden kann.

 

Bischof Wanke von Erfurt sagte einmal: „Zeigen wir mehr Flagge! Haben wir mehr Vertrauen, dass auch ein ungläubiger Tischgast ein Tischgebet bei Christen in Ordnung findet. Und dass Besuch, der uns am Sonntag überfällt, vielleicht sogar einmal zur Kirche mitgeht, statt uns zu veranlassen, unser Sonntagsprofil zu verleugnen. Betrügen wir unsere Zeitgenossen nicht um Gott – sie sind angewiesen darauf, durch uns aufmerksam zu werden auf das wahre Geheimnis ihres Lebens. Und das finden sie nicht im pausenlosen Unterhaltenwerden noch im Glauben an Horoskope und den Lauf der Sterne oder bei obskuren Sekten. Sie finden das nur im Wort Gottes und in der Gemeinschaft mit Jesus Christus.“

 

Die Berufung zu einem besonderen Dienst in der Nachfolge Jesu

 

Wenn wir im kirchlichen Bereich von Berufung sprechen, verstehen wir oft die besondere Berufung, die von Gott an Männer und Frauen ergeht, die dem Ruf Gottes an die Menschen in einem eher radikalen Sinn antworten, so dass sie diese Berufung in einem „geistlichen Beruf“ leben. Sie wollen sich ganz und ausschließlich diesem Dienst an Gott und den Menschen widmen, sich ganz Gott weihen. Im priesterlichen Dienst und als Diakon werden sie ja dazu im wahrsten Sinne des Wortes „geweiht“, im Ordensleben geloben sie in den Gelübden öffentlich vor Zeugen Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam. In vielen Säkularinstituten oder anderen geistlichen Gemeinschaften bindet man sich selbst durch ein Versprechen an die betreffende Gemeinschaft.

 

Diese Berufung leitet sich ab vom Evangelium. Jesus beruft aus der großen Jüngerschar einige, die er ausdrücklich einlädt: „Du, folge mir nach!“ Einige von ihnen werden dann im Text des Evangeliums mit Namen genannt. Sie werden von ihrer Arbeit mit diesem einen Ruf weggeholt, lassen einfach alles stehen und liegen, um dann mit ihm unterwegs zu sein, bei ihm zu sein, zu lernen, wie er lebt und predigt und dann Zeugnis für ihn abzulegen. Auch Frauen sind mit ihm unterwegs und unterstützen ihn. Diese Treue überdauert auch den Karfreitag. Zunächst enttäuscht und verzweifelt, lassen sie sich vom auferstandenen Herrn neu rufen und in Dienst nehmen und mit dem Heiligen Geist erfüllt hinaussenden in die Welt.

 

Im Laufe der Geschichte gab es großartige Persönlichkeiten, die ihre Berufung spürbar von Gott erhielten, wie schon Paulus, der auf dem Weg nach Damaskus brutal vom Pferd gerissen wurde, der dann den Ruf Christi, den er spürte, mit einem ungeheuren Eifer in seiner Missionstätigkeit verwirklichte. Dann gab es Menschen, die durch ein Wort in der Predigt, durch einen Satz beim Lesen der Heiligen Schrift, in der Begegnung mit einem geisterfüllten Menschen den Weg in die Nachfolge geführt wurden. Immer wieder gab es Zeiten, in denen Menschen aus einem gläubigen Elternhaus den Weg in einen geistlichen Dienst fanden und durch eine ganz einfache, schlichte, vorbildliche Lebensweise der Eltern, durch eine Anregung von Verwandten, von guten Priestern oder Ordensleuten, von Freunden oder Freundinnen zu einer Berufung in den priesterlichen Dienst oder ins Ordensleben fanden.

 

P. Peter Schütz CMF